20. November 2024
Wenn Bücher im Freien lebendig werden
Rückblick auf einen Sommer voller Geschichten an Bücherschränken
Bunte Sitzbänke unter Schatten spendenden Bäumen, dazwischen grüne Kübelpflanzen. Ein mehrstöckiges Wohnhaus, ein kleiner Supermarkt, eine Bäckerei, das Veedelsbüro des Diakonischen Werks Köln und: ein Bücherschrank, der in diesem Sommer wöchentlicher Treffpunkt vieler kleiner Leseratten war.
An diesem Donnerstagvormittag Mitte September ist es ruhig auf dem Picco–Platz in Holweide. Die Sommerferien sind vorbei, die Kinder aus der Umgebung in der Kita oder Schule. Ich bin verabredet mit der LeseWelten-Vorleserin Margot Wingenbach und Lis Nørgaard vom Runden Tisch Holweide, dem übergreifenden Gesprächsforum engagierter Bürgerinnen und Bürger des rechtsrheinischen Stadtteils. „Es waren wunderschöne Stunden! Oft konnten die Kinder gar nicht genug vom Vorlesen bekommen, sie wollten noch eine und noch eine Geschichte hören“ erinnert sich Margot an die sommerlichen Vorlesestunden. Margot ist eine der ehrenamtlichen Vorleser:innen von LeseWelten, die in der Zeit von Ende Mai bis Ende September an dem Outdoor-Vorleseprojekt „LeseWelten am Bücherschrank“ teilgenommen hat. Ein ähnliches Fazit ziehen auch die weiteren sechs LeseWelten-Vorleser:innen, die wöchentlich an einem fest vereinbarten Termin an den Bücherschränken auf dem Müngersdorfer Dorfplatz, im Innenhof des Mehrgenerationenhauses LEDO in Niehl und im Park des Bürgerzentrums Ehrenfeld Woche für Woche vorlasen.
Ein bundesweit erstmaliges Projekt
Das deutschlandweit einmalige und erstmalige Projekt geht zurück auf eine Idee der Vorlese-Initiative LeseWelten der Kölner Freiwilligen Agentur und der Stiftung Neuer Raum. Vor Ort, in den Veedeln, kümmerten sich ehrenamtliche Paten-Teams bzw. lokale Bürgerinitiativen wie der Runde Tisch Holweide um den jeweiligen Bücherschrank. „Wir arbeiten seit vielen Jahren eng mit der Stiftung Neuer Raum zusammen“ berichtet Lis Nørgaard. Die Stiftung setzt sich dafür ein, Kultur auf öffentliche Plätze und Straßen zu bringen, vor allem rund um die Bücherschränke. Eigentümerin der Schränke ist die Bürgerstiftung Köln, Idee und Design stammen von dem Architekten Hans-Jürgen Greve: „Die Menschen haben so viel Spaß dabei, sich zu treffen und Bücher auszutauschen. Für mich sind Bücherschränke soziale Möbel. Mein Lieblingssatz ist: Haben Sie einen Hund, ein Kind, oder einen Bücherschrank, dann kommen sie ins Gespräch.“
Speziell für die LeseWelten-Vorleseaktion wurden zudem farbenfrohe, gepolsterte Bodendecken zur Verfügung gestellt, auf denen es sich die Kinder und Vorleser:innen während der Vorlesestunden bequem machten.
Fotos: Ines Jacob, Beatrix Mattar-Heger, Elke Tonscheidt, Margot Wingenbach
Mehr als nur zuhören
Am Bücherschrank auf dem Picco-Platz fanden sich während der Sommermonate donnerstagsvormittags pünktlich um 11 Uhr rund 10 Kinder aus den nahgelegenen Kitas mit ihren Betreuer:innen ein und lauschten den Geschichten, die Margot und weitere Vorleser:innen vom Runden Tisch vorlasen. „Besonders beliebt war „Schüttel den Apfelbaum“ von Nico Sternbaum, ein Mitmach-Buch voller Überraschungen für jede Menge Spiel, Spaß und Spannung“, erzählt Margot. Auch mit „Nein heißt Nein, sagt die Maus“ hatte sie ins Schwarze getroffen, ein Buch über Selbstvertrauen und Grenzen, mit großen, ausdrucksstarken Illustrationen von Hildegard Müller. Besonderen Spaß hatten die Kinder an den beiden Maus- und Fuchs-Stabfiguren, die Margot gebastelt hatte und mit denen sie die Geschichte lebendig werden ließ. Und lebendig wurden die Kinder auch selbst. Als jahrelange LeseWelten-Vorleserin weiß Margot, wie sie Kinder aktiviert und in die Geschichten einbezieht. „Wie bei den Vorlesestunden in den Kitas, so hat auch am Bücherschrank das dialogische Vorlesen bestens funktioniert. Die Kinder kommen in Aktion und haben riesige Freude, wenn sie die Geschichten nachspielen, weiterspinnen, ausschmücken oder die Tierfiguren nachahmen.“
Durch das dialogische Vorlesen erwerben die Kinder spielerisch Kompetenzen wie Zuhören und Verstehen, Bilderlesen und später auch Buchstabenlesen, erklärt Simone Krost, Bereichsleiterin LeseWelten. Zudem schulen der Austausch, das Verarbeiten und Weiterspinnen des Gehörten die sozialen Kompetenzen. „So entdecken die Kinder über das Vorlesen wunderbare Welten voller Geschichten.“
Gespannte Neugier
Trotz intensiver Bewerbung im Umfeld des Picco–Platzes nahmen neben den Kita-Kindern nur ab und zu weitere Kinder aus der Umgebung an den wöchentlichen Volesestunden am Bücherschrank teil. In Müngersdorf, Ehrenfeld und Niehl machten die LeseWelten-Vorleser:innen vergleichbare Beobachtungen. Die Kids, die regelmäßig kamen, waren stets gespannt, hörten neugierig zu, sie fasten meist schnell Vertrauen zu den Vorleser:innen und beteiligten sich aktiv. Selbst anfangs zurückhaltende Kinder tauten so mit der Zeit auf und ließen sich einbeziehen.
„Der Picco–Platz ist wie gemacht für eine solche Bücherschrank-Vorleseaktion unter freiem Himmel“, sagt Lis, „wenn es regnet oder zu heiß ist, können wir schnell ins Veedelsbüro gehen.“ In diesem Sommer war das zur Freude aller nur ein einziges Mal der Fall.
Finanzierung noch offen
Ob es aber einen weiteren Sommer mit LeseWelten am Bücherschrank auf dem Picco Platz oder anderen Bücherschränken in Köln geben wird, ist noch fraglich. „Das Pilotprojekt an den vier Bücherschränken war ein Erfolg. Das zeigen uns nicht nur die Eindrücke unserer Vorleser:innen. Auch die Kita-Betreuer:innen und Eltern waren begeistert und bedankten sich für das tolle Angebot. Das Projekt hat uns aber auch gezeigt, dass der organisatorische Aufwand sehr hoch ist“, sagt Franziska Kopp, Bildungsreferentin bei LeseWelten. „Wir sind deshalb auf intensiver Suche nach Fördermöglichkeiten, um die Vorleseaktion 2025 wieder möglich machen zu können.“ Bleibt zu hoffen, dass sich Wege und Mittel für einen weiteren LeseWelten-Sommer an Kölner Bücherschränken finden. Margot und Lis wären jedenfalls sofort wieder dabei, wenn es um die Lesestunden auf dem Picco-Platz geht.
Für die erfolgreiche Zusammenarbeit dankt LeseWelten den Initiativen vor Ort, dem Bürgerverein Köln Müngersdorf e.V., dem LEDO Mehrgenerationenhaus Niehl, dem Runden Tisch Holweide und allen ehrenamtlichen Bücherschrankpatinnen und -paten, ohne deren tatkräftige Unterstützung das Projekt nicht möglich gewesen wäre sowie der Stiftung neuer Raum für die wunderbare Zusammenarbeit.
Text: Beatrix Mattar-Heger